Bellende Hunde, knatschende Fässer und eine heftige „Bio-Explosion“

Wissenschaftler der Kohlenforschung begeistern das Publikum in der Freilichtbühne mit spannenden Experimenten

16. September 2022

Die Experimentalvorlesung von Prof. Ferdi Schüth, Dr. Wolfgang Schmidt und Andre Pommerin in der Mülheimer Freilichtbühne hat längst Kultstatus über die Grenzen Mülheims hinaus erreicht. Auch in diesem Jahr kamen mehr als 2000 Besucher zu der spektakulären Show. 

Das Vermitteln wissenschaftlicher Inhalte an die interessierte Öffentlichkeit hat viele Gesichter, auch innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft: Es gibt Podcasts, populärwissenschaftliche Artikel und Erklärvideos. Es gibt Instagram-Stories, Ausstellungen mit Bildern aus der Wissenschaft und Tage der offenen Tür. Und dann gibt es noch die Experimentalvorlesung von Prof. Ferdi Schüth, Dr. Wolfgang Schmidt und Andre Pommerin vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in der Freilichtbühne in Mülheim – eine Veranstaltung, die im Ruhrgebiet längst Kultstatus erreicht hat. Auch in diesem Jahr kommen rund 2000 Menschen, um den Chemikern bei ihren spektakulären Experimenten im Freien zuzuschauen.

Den Wiederholungstätern unter den Besuchern fällt es gleich auf: Der Titel der Experimentalvorlesung ist in diesem Jahr ein etwas anderer als sonst: „Feuer, Flamme, Dynamit – jetzt wird’s nobel!“ heißt die Show. „Unser Kollege Benjamin List hat im vergangenen Jahr schließlich den Nobelpreis bekommen“, erzählt Schüth zu Beginn, nicht ganz ohne Stolz in der Stimme, „und da wollten wir es uns nicht nehmen lassen, das Thema aufzugreifen.“ Und so zieht sich der Nobelpreis wie ein roter Faden durch die rund zweieinhalb Stunden dauernde Vorlesung, mit mal mehr, mal weniger ernst gemeinten Bezügen von den Experimenten zu verschiedenen Chemie- oder Physiknobelpreisträgern.

Zunächst berichtet Schüth anekdotenhaft von Alfred Nobel selbst – wer war dieser Mensch, und warum gibt es den Nobelpreis? Wie kam er auf die Idee, Dynamit herzustellen, und warum stiftete er sein Vermögen ausgerechnet für Wissenschaft? Schüth erwähnt Schwarzpulver, zeigt dem interessierten Publikum die Wirkungsweise von Nitrocellulose, Nitroglycerin und schließlich auch von Dynamit. Wissenschaftsgeschichte im lockeren Plauderton, veranschaulicht mit Feuer, Funken und Knallerei. Das Publikum, darunter vor allem die Kinder und alle anderen Junggebliebenen, ist schwer angetan.

Doch zurück zu den Nobelpreisträgern: Nicht fehlen in Schüths Parforceritt durch mehr als einhundert Jahre Chemie und Physik darf Max Planck, Namensgeber für die MPG und auch das Institut in Mülheim und Begründer der Quantenphysik. Oder Fritz Haber und Carl Bosch oder auch Emmanuelle Charpentier, Chemienobelpreisgewinnerin 2020 und Leiterin der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene in Berlin.

Der Professor erschrickt

Apropos Berlin: Für seine wichtigsten Forschungsarbeiten im Bereich der Oberflächenchemie musste beispielsweise der Berliner Chemiker Gerhard Ertl, emeritierter Direktor am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft und Nobelpreisträger 2007, ein besonders starkes Vakuum erzeugen. Mit Ertls Forschung hat das große blaue Stahlfass, das plötzlich auf der Bühne steht, zwar nichts zu tun. Aber auch hier geht es um Vakuum: Die Tonne wird zunächst mit Wasser gefüllt und erhitzt. „Der entstehende Wasserdampf verdrängt die Luft im Fass“, erklärt Schüth beiläufig. Als das Fass voller Dampf ist, macht der Chemiker den Deckel zu und lässt das Ganze herunterkühlen. Der Dampf im Fass kondensiert, der Druck im Inneren fällt ab. „Das Fass knatscht gerade ziemlich“, sagt Schüth nervös lachend und erschrickt – genau wie das Publikum – als das Stahlfass dem Umgebungsdruck schließlich nicht länger standhalten kann und mit einem lauten „Peng!“ von außen zerquetscht wird.

Keinen Nobelpreis erhielt im Laufe seiner Karriere einer der wohl bedeutendsten Chemiker Deutschlands: Justus von Liebig. „Das lag aber schlicht daran, dass es den Nobelpreis noch gar nicht gab, als Liebig lebte“, erzählt Schüth. Sei’s drum: Wichtige Forschungsergebnisse und spannende Experimente habe Liebig trotzdem hinterlassen – so zum Beispiel den „Bellenden Hund“. Dass diese Reaktion so berüchtigt ist, rührt auch daher, dass eine Vorführung Liebigs vor der bayerischen Königsfamilie im 19. Jahrhundert misslang: Liebig selbst und auch Königin Therese und Prinz Luitpold wurden leicht verletzt. Nicht so in Mülheim: Als Andre Pommerin, Wolfgang Schmidt und Ferdi Schüth das benötigte Gasgemisch in ihrem Zylinder entzünden, läuft alles glatt: Eine hellblaue Flamme schießt in den Himmel, begleitet von eben jenem charakteristischen Jaulen oder Bellen, das der Reaktion ihren Namen gab. Das Publikum ist erleichtert – und jubelt.

Ein Schauversuch mit Organokatalysatoren – das stellt Schüth und seine Kollegen vor eine Herausforderung. „Ben List hat den Nobelpreis für eine fantastische Entdeckung erhalten“, sagt Schüth. Doch wie lassen sich die recht simpel gestrickten molekularen Werkzeuge aus dem List’schen Labor und ihre Wirkungsweise anschaulich zeigen? „Uns ist nichts eingefallen“, gesteht Schüth schließlich mit einem schelmischen Grinsen, „darum jagen wir das Prolin einfach mit flüssigem Sauerstoff in die Luft.“ Eine echte „Bio-Explosion“ sei das, scherzt Schüth, immerhin sei die Aminosäure ein reines Naturprodukt. Das Pulver in der kleinen Flasche explodiert mit ganz schöner Wucht, das Publikum applaudiert erneut voller Begeisterung.

Es überträgt sich wie ein Lauffeuer

Die Begeisterung spürt man auch bei den drei Akteuren auf der Bühne. „Eigentlich machen wir das hier nur für uns“, hatte Schüth am Rande der Veranstaltung verraten, „Das macht uns einen riesigen Spaß, und wir lassen andere Leute eben dabei zusehen. Einen pädagogischen Anspruch haben wir nicht wirklich.“ Es geht Schüth, Schmidt und Pommerin also vor allem um Spaß – um Spaß an der Wissenschaft. Und die überträgt sich an diesem Abend wie ein Lauffeuer auf das Publikum, das bis in die späten Abendstunden ausharrt, um ja nichts zu verpassen von der spektakulären Show mit Knall, Puff und Peng.

Zwischen all den Feuern und Explosionen gibt es an diesem Abend jedoch auch Experimente, bei denen es so richtig kalt wird: Vor den Augen der Zuschauerinnen und Zuschauer zieht Schüth seine schwarze Sportsocke aus und hält sie vor einen Feuerlöscher.  Er drückt auf den Hebel des Feuerlöschers und „löscht“ die Socke mit Co2, um darin Trockeneis herzustellen. „Na klasse“, kommentiert Schüth trocken, „Jetzt haben wir zwar Trockeneis, aber ich einen nackten Fuß…“ Unter dem Gelächter des Publikums zaubert er eine Ersatzsocke aus seiner Hosentasche. Was für eine coole Socke.

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