Unterwegs auf den eigenen Spuren: Berfin Göker
Berfin Göker macht eine Ausbildung zur Chemielaborantin am Institut
Eine Ausbildung in der naturwissenschaftlichen Forschung ist für viele junge Frauen eine Herausforderung. Sind die Themen das Richtige für mich? Soll ich nicht lieber etwas mit anderes machen? Wenn dann noch ein in die Wiege gelegtes Hindernis dazu kommt, wird es doppelt schwer. Oder doppelt herausfordernd. Denn Berfin Göker, die bei uns eine Ausbildung zur Chemielaborantin absolviert, hat eine gesundheitliche Beeinträchtigung. Berfin ist hörgeschädigt und kämpft in der Berufsschule und am MPI mit vielen Hürden, die Hörende nicht kennen. Trotz ihres Handicaps ist die 24-Jährige sehr erfolgreich und wurde 2023 sogar mit dem Ernst Haage Preis für Auszubildende ausgezeichnet. In unserer Interviewreihe „Minervas Töchter“ erzählt Berfin von ihrem Arbeitsalltag in der „hörenden Welt“.
Berfin Göker absolviert eine Ausbildung zur Chemielaborantin an unserem Institut. Sie ist im dritten Lehrjahr und aktuell in der Abteilung von Professor List eingesetzt. Aufgrund ihrer guten Leistungen kann sie die Ausbildung verkürzen und wird im Sommer ihre Prüfung ablegen.
Was hat Sie hierher geführt? Erzählen Sie uns von Ihrem Weg an die Kohlenforschung!
Berfin Göker: Ich habe mein Abitur am RWB (Rheinisch-Westfälisches-Berufskolleg) in Essen absolviert, einem Berufskolleg für schwerhörige und gehörlose Menschen. Während des Chemieunterrichts hat uns ein Referendar mit seiner Leidenschaft für Chemie inspiriert. Seine Begeisterung hat meine eigene Leidenschaft für Chemie geweckt und mein Interesse gestärkt. Daraufhin habe ich aktiv nach einem Praktikumsplatz gesucht, um mich bestmöglich auf die Ausbildung zur Chemielaborantin vorzubereiten, besonders aufgrund meiner Hörschädigung. Nach einem Jahrespraktikum am MPI habe ich die Zusage für eine Ausbildung zur Chemielaborantin erhalten und bin meiner Ausbildungsleiterin, Frau Sahraoui, zutiefst dankbar. Trotz der vielen Hindernisse aufgrund meiner Schwerhörigkeit glaubt sie ganz fest an mich und hat mir diese wertvolle Chance gegeben.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit?
Berfin: Ich schätze besonders die Möglichkeit, derzeit in der List Abteilung zu arbeiten, wo ich täglich Neues lernen kann. Es freut mich, wenn wir gute Ausbeuten erzielen können. Ich habe aber erkannt, dass auch weniger zufriedenstellende Ergebnisse wertvolle Lektionen sein können. Sie öffnen uns die Tür, nach anderen Lösungen oder neuen Wegen zu suchen. Diese Erfahrung hat mich gelehrt, dass in jedem Ergebnis, ob positiv oder negativ, eine Möglichkeit liegt, persönlich zu wachsen und sich weiterzuentwickeln.
Was sind Ihre beruflichen Ziele?
Berfin: Ich strebe zuerst an, meine Ausbildung zur Chemielaborantin erfolgreich abzuschließen. Der Weg dorthin ist für mich eine Herausforderung und es ist oft ein Kampf für mich. Die vielen Einschränkungen aufgrund meiner Hörschädigung machen es nicht einfach. Leider gibt es bisher noch keine Angebote oder Unterstützung in der Berufsschule für schwerhörige und gehörlose Menschen, sowohl für Ausbildungs- als auch Weiterbildungsmöglichkeiten, besonders im Bereich der Naturwissenschaften. Zum Beispiel fehlt es an Gebärdensprachunterstützung der Lehrer. Aktuell ist mein Ziel, als erfolgreiche Chemielaborantin in der Analytik zu arbeiten.
Was war Ihr bislang schwierigster Schritt?
Berfin: Der Übergang von meiner gehörlosen Welt in die hörende Welt war der herausforderndste Schritt, den ich je gemacht habe. Ich musste meine eigene Identität neu definieren und herausfinden, wie ich am besten mit hörenden und englischsprachigen Menschen kommunizieren kann, da ich mit Gebärdensprache aufgewachsen bin. Der Unterricht in der Lautsprache und das Fehlen ausführlicher Mitschriften waren oft belastend, da meine Ohren nicht die gleiche Leistungsfähigkeit wie die anderer haben. Ich musste dafür kämpfen, dass die Arbeitsagentur die Kosten für Schriftdolmetscher übernimmt. Seit ungefähr Mitte meiner Ausbildung begleiten sie mich und tippen im Unterricht das Gesprochene ab, damit ich es auf dem Tablet lesen kann. Das hilft sehr – kann aber nicht alle Nachteile vollständig ausgleichen. Viele Menschen wissen wenig über die Bedürfnisse und Erfahrungen schwerhöriger und gehörloser Menschen, was bedauerlich ist.
Haben Sie ein Vorbild?
Berfin: In einer Welt, in der ich keine ähnlichen Pfade aufgrund meiner Situation verfolgen konnte, musste ich meinen eigenen Weg finden, um meinen Traumberuf zu erreichen. Ich hatte keine bestimmte Person, deren Fußstapfen ich folgen konnte. Diese Reise des Selbstentdeckens und des Gehens eigener Pfade war herausfordernd, aber gleichzeitig auch unglaublich erfüllend. Ich bin stolz darauf, mein eigenes Vorbild zu sein und zu zeigen, dass es möglich ist, seine Träume zu verwirklichen, auch wenn Steine im Weg liegen.
Welchen Rat würden Sie jungen Mädchen geben, die sich für eine Tätigkeit in einer wissenschaftlichen Einrichtung interessieren?
Berfin: An alle jungen Mädchen da draußen: Wenn ich als junge Frau mit meiner Schwerbehinderung das erreichen kann, dann könnt ihr das erst recht! Glaubt an euch selbst und lasst euch von niemandem kleinmachen, auch wenn niemand sonst an euch glaubt. Findet eure Leidenschaft, haltet daran fest und kämpft für eure Ziele. Eure Behinderung, Religion, Herkunft oder Sonstiges dürfen euch nicht aufhalten. Ihr seid stark und fähig, also geht mutig euren Weg!
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was wäre es?
Berfin: Ich habe eine Fülle von Wünschen… (lacht) Durch meine Leidenschaft fürs Reisen, sowohl in wohlhabenden als auch in ärmeren Ländern, habe ich viel Wunderbares erlebt, aber auch tiefe Erkenntnisse gewonnen. Mein Wunsch ist eine Welt, befreit von Ungerechtigkeit, Vorurteilen, Armut, Egoismus, Arroganz, Kälte und Krieg. Ich träume von einer Welt, die durch Bodenständigkeit, Frieden, Gerechtigkeit, Solidarität, Respekt, Empathie, Harmonie und Zusammenhalt geprägt ist.
Deshalb eine Botschaft an die gesamte Gesellschaft: Ich ermutige euch alle zur Selbstreflexion und dazu, Rücksicht aufeinander zu nehmen.