Ein Programmpaket macht einen Quantensprung

ORCA 6.0 ist eine deutliche Verbesserung gegenüber den Vorgängerversionen

25. Juli 2024

Schneller, übersichtlicher und mehr Funktionalitäten: Wir erklären, was das neue Programm ORCA 6.0 kann - und für wen die Software nützlich ist. 

Ende Juli 2024 ist die neueste Version des Quantenchemieprogramms ORCA vorgestellt worden. Wir fassen hier noch einmal die wichtigsten Eckpunkte zum Release zusammen.

Für wen ist ORCA eigentlich interessant?

Quantenchemische Berechnungen sind aus der modernen Chemie nicht mehr wegzudenken, auch nicht für Experimentalchemiker. Eines der weltweit bekanntesten Programme, die die Forscherinnen und Forscher bei dieser Arbeit unterstützen, ist ORCA, das vor mehr als 20 Jahren von Prof. Frank Neese ins Leben gerufen wurde und welches jetzt von einem Team von ca. 30 Entwicklern und internationalen Kooperationspartnern weiterentwickelt wird. Die Nutzerinnen und Nutzer von ORCA sind seit jeher vor allem Akademiker: Besagte Chemiker und Biochemiker beispielsweise. Doch auch immer mehr Computerfirmen gehören zu den Interessenten. „Das hat damit zu tun, dass Quantenchemie eine sehr anspruchsvolle Rechnerei darstellt“, erklärt Neese, Direktor am MPI für Kohlenforschung. Viele große Firmen nutzen Programme wie ORCA, um Stresstests für ihre Systeme durchzuführen, erklärt er. „Wer große Rechner ins Schwitzen bringen will, ist bei quantenchemischen Programmen genau richtig.“ Während Nutzer mit rein akademischem Interesse am Produkt ORCA kostenlos herunterladen und verwenden können, werden Lizenzen für kommerziell agierende Kunden über die Firma FACCTS vertrieben.

Was ist das Besondere an ORCA 6.0?

Schon unter ORCA 5.0, das 2021 eingeführt wurde, kam es bereits zu einer regelrechten Explosion der Nutzerzahlen. „Es gibt heute rund 100.000 Nutzer, das sind ungefähr dreimal so viele wie vor drei Jahren“, verrät Frank Neese. Das rege Interesse an dem Programm liegt seiner Meinung nach neben dem sehr großen und auch z.T. einzigartigen Funktionsumfang von ORCA auch an seiner sehr hohen Effizienz. Insbesondere beim Übergang zu ORCA 5 wurde das so genannte SHARK Modul implementiert, ein Integralpaket, das das Errechnen von Reaktionen und molekularen Strukturen für die Nutzer deutlich verbessert hat. Mit ORCA 6.0 wird dieser Rechenprozess noch weiter vereinfacht, das Rechnen geht für die Nutzer nun noch schneller als vorher. „Ich als Wissenschaftler bekomme meine Ergebnisse noch zügiger, und das ist in der heutigen Forschung ein ganz wesentlicher Aspekt.“ Darüber hinaus gibt es einige neue Features, wie beispielsweise die Berechnung von optimaler Interaktionsgeometrie zweier zusammenstoßender Moleküle – ein in der Chemie zentrales Scenario. Außerdem lässt sich nun einfach errechnen, wie sich die Moleküle in einem Lösungsmittel verhalten und welche spektroskopischen Eigenschaften es dabeihat.

Es geht also nur um Schnelligkeit?

Ganz klar: Nein. „Denn das eigentlich Besondere an ORCA 6.0 ist das, was unter der Oberfläche passiert ist“, sagt Frank Neese. ORCA basiert auf einem Code, der seine Ursprünge vor mehr als 20 Jahren hat. Seitdem wurde viel daran gearbeitet, hinzugefügt und verändert: Orca wuchs an. „Doch das alte Programm war nicht aus einem Guss“, räumt Neese ein, „es gab kein kohärentes Konzept, es war unübersichtlich und es wurde langsam kompliziert, daran zu arbeiten.“ Also haben Neese und sein Team die vergangenen Jahre damit verbracht, ORCA neu aufzusetzen – von Grund auf neu. ORCA 6.0 ist jetzt, sagt Neese, extrem schlank, übersichtlich und kann dennoch organisch weiterwachsen.

Warum war diese Veränderung notwendig?

Computer, Tablets, Smartphones: Die Hardware hat sich in den vergangenen Jahren geradezu rasant weiterentwickelt, sagt Frank Neese. Und ORCA, dessen Kern älter als 20 Jahre war, drohte, zu veralten und damit nicht mehr nutzbar zu sein. „Damit wäre das Programm gestorben“, so Neese. So haben er und seine Mitarbeitenden in den vergangenen drei Jahren viel Zeit und Energie darauf verwendet, die neue Version zu schreiben. Das Team, sagt Neese, umfasste im Kern rund 30 Personen. „Und keiner davon“, betont er, „ist Profi im Coden oder Entwickeln von Software. Wir sind Chemiker und Physiker.“ Dennoch hat es geklappt. Und mit dieser Version, so ist er sich sicher, kann ORCA in den kommenden 20 bis 30 Jahren ohne Probleme weiterlaufen. „Meines Wissens nach hat es eine solche Neuaufstellung eines großen Quantenchemiepaketes in der Geschichte unserer Disziplin noch nie gegeben“ führt Neese aus.

Heißt das, dass sich die wissenschaftliche Community dank ORCA 6.0 nun entspannt zurücklehnen kann?

„Auf keinen Fall“, sagt Neese, ORCA sei auch nach dem Update zeitlich begrenzt. Außerdem könne das Programm zwar vieles, aber noch längst nicht alles berechnen. Auch gibt es derzeit noch kein grafisches Interface für die Nutzer. Auf der einen Seite werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Programme wie ORCA immer benötigen – seien sie nun Theoretiker oder Experimentalchemiker. Auf der anderen Seite haben Nachwuchskräfte kaum noch Zeit, solche Programme neu zu entwickeln. „Mit dem Schreiben eines Codes verdiene ich nicht die wissenschaftliche Reputation wie mit einer eigenen Forschungsarbeit“, sagt Neese. Gleichwohl sei es unumgänglich, dass es Wissenschaftler sind, nicht nur Informatiker, die diese Programme entwickeln. Ein öffentlich finanziertes, eigenes Institut, dass sich dem Entwickeln allgemein zugänglicher Software verschrieben hat, könnte eine mögliche Lösung sein.

Details zum neuen ORCA gibt es im frisch aufgesetzten Handbuch, das rund 1.500 Seiten umfasst. Außerdem besteht in Kürze die Möglichkeit, sich die Aufzeichnung des Release-Streams anzuschauen.

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